Wie Kinderaugen den zweiten Weltkrieg sahen

Auszüge aus Aufsätzen Nürnberger Schulkinder, die über ihre prägendsten Erlebnisse während des zweiten Weltkrieges berichten.

Archivalien bieten uns tiefe und oft auch schreckliche Einblicke in das Leben mit dem Krieg.

Kinder erleben dies jedoch noch einmal mit ganz anderen Augen und fassen Geschehnisse mit einer völlig andern emotionalen Sichtweise auf. Sie können unter Umständen einen viel intensiveren Blick auf die Grausamkeit und auch auf die Lichtblicke in solchen Zeiten bieten.

Die folgenden im Rahmen des Deutsch-Unterrichts verfassten Schüler-Aufsätze stammen aus dem Bestand E 10/1 - Nachlass Otto Barthel und überliefern die Erlebnisse und Eindrücke einiger  Kinder, die mit dem Krieg in Nürnberg aufgewachsen sind.

Otto Barthel, der mit seinem Nachlass unter anderem eine Vielzahl von Schüler-Aufsätzen an das Stadtarchiv Nürnberg abgab wurde am 15. Januar 1895 in Marktbreit geboren und starb am 24. September 1975 in Nürnberg. Er war Lehrer, zuletzt Oberschulrat und engagiert beim Wiederaufbau des Volksschulwesens in Nürnberg nach 1945 sowie beim Aufbau der Volksschul-Oberstufe.

Otto Barthel war Träger der Bürgermedaille der Stadt Nürnberg 1963, Verfasser diverser Arbeiten zur Schul- und Theatergeschichte in Nürnberg, Musik- und Theaterkritiker und Initiator des Lichterzuges der Volksschüler zur Burg.

 

Teil 1

E 10/1 Nr. 32

Aus meinem Leben „Meine Mutti lag bewusstlos am Boden“

 

 

Ein unvergessliches Erlebnis aus meinem Leben trug sich in den Sommermonaten des Jahres 1943

Da wir vollkommen ausgebombt waren, hatten wir für ¼ Jahr in Unterasbach in der Rhön Unterkunft gefunden. Wir bekamen wieder ein Zimmer in Nürnberg und wollten daher mit dem Zuge nach Nürnberg fahren. Wir mussten die Strecke Schweinfurt – Würzburg fahren. Am Bahnhof Schweinfurt hatten wir Aufenthalt und um ½ 4 Uhr Nachmittag war Fliegeralarm. Wir durften nicht aus dem Zuge, weil er gerade abfahren sollte. Wir hörten schon die Flieger brummen und gleich danach fielen die ersten Bomben auf den Bahnhof. Auf unseren Zug fiel auch eine Bombe, direkt auf den Wagen vor dem unsrigen.

Einige Wagen kippten um, so auch der, in welchem meine Mutti und ich waren. Es gab ein großes Geschrei und unser Wagen war auch sehr zerstört. Meine Mutti lag bewusstlos am Boden, eine Frau, welche mir gegenüber gesessen ist, war tot und einem Soldaten, der in den Urlaub fuhr, hatte es das Bein weggerissen. Sonst kann ich mich an nichts mehr erinnern, denn ich rief immer nach meiner Mutti, denn ich glaubte, sie sei auch tot. Da kam meine Mutti zu sich und wir krochen aus dem Wagen, rannten über die Gleise und legten uns auf eine Wiese, wo schon mehrere Leute lagen. Die nächste Bombe traf den Zug. Er brannte nun ganz zusammen. Wenn wir noch drinnen gewesen wären, wären wir wohl auch umgekommen. Als die Flieger fort waren, gingen wir zum Bahnhof, um vielleicht aus dem zusammengeholten Gepäck unseres herauszufinden. Wirklich fanden wir unseren Koffer. Neben dem Gepäck lag ein toter, der mit dem Mantel meiner Mutti zugedeckt war. Ein anderer Soldat nahm den Mantel von dem Toten weg und gab ihn meiner Mutti zurück. Er deckte dann den Toten mit einer Decke zu.

Wir mussten dann eine Strecke laufen, weil kein Zug mehr ging. Ein Mann nahm uns mit in seine Wohnung außerhalb von Schweinfurth, dort bleiben wir zwei Nächte. Wir gingen dann zur Station vor Neustadt an der Saale, von wo wieder ein Zug abfuhr.

Es war wie ein Wunder für mich, dass mir gar nichts passiert ist, meine Mutti hatte Splitter in ihrem Arm. Das Erlebnis in meinem 11. Lebensjahr werde ich nie vergessen können und öfters muss ich an diese schrecklichen Stunden denken.

 

 

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