Wir verdanken dem Nürnberger Geistlichen Georg Wolfgang (Franz) Panzer (1729 – 1805. Siehe: Matthias Simon: Nürnbergisches Pfarrerbuch, Nürnberg 1965, Nr. 983; Stadtlexikon Nürnberg, 2. verb. Aufl. hrsg. von Michael Diefenbacher und Rudolf Endres, Nürnberg 2000) neben Arbeiten zur Druckgeschichte, insbesondere zur Geschichte der Bibeldrucke, die Veröffentlichung seiner Sammlung von Porträtstichen unter dem Titel: „Verzeichnis von Nürnbergischen Portraiten aus allen Staenden“, Nürnberg 1790; ein Werk, das noch zwei Fortsetzungen (1801 und – posthum – 1821) erfahren sollte.

In der ersten Folge von 1790 erwähnt Panzer auf Seite 49 einen Stich mit dem merkwürdigen Titel: „Hr. C. A. E.“, von dem ein Nachstich mit derselben Unterschrift ebenfalls erwähnt wird (Verzeichnis Von Nürnbergischen Portraiten Aus Allen Staenden). Das sieht bei Panzer dann so aus: „U. Hr. C. A. E. (Carl Albrecht Ebner) Original 12. U. Hr. C. A. E. Nachstich. 12.“

Mit „U.“ ist ‚Unterschrift‘ gemeint, ‚12‘ bedeutet das Duodezformat.

Woher Panzer das Wissen nahm, dass es sich bei dem Kürzel um ‚Herrn Carl Albrecht Ebner‘ handelt, gibt er nicht preis. Dass diese Angabe aber zutreffend ist, verrät ein Text aus dem Archiv der Familie Ebner im Stadtarchiv Nürnberg, der wahrscheinlich einer Familientradition entstammt. Leider wurde in den 1930er Jahren, als der Text mit der Schreibmaschine abgeschrieben wurde, wovon sich immerhin ein Durchschlag erhalten hat, keinerlei Hinweis auf die Originalquelle mitgeteilt. Wie die Orthographie verrät, handelt es sich um einen älteren Text, der vielleicht ins frühe 18. Jahrhundert datiert werden kann. Er lautet:

„Carl Albrecht Ebner geb. 1653 & gestorben 1706 zu Castell (,) der „Geis-Ebner“ genannt, weil es sich zugetragen haben soll, dass da er beständig geflucht habe, seine Frau Schwester, Maria Sophia Tucherin, deren Ehegemahl Pfleger zu Lauff gewesen, woselbst er Ebner sich damahlen aufgehalten, Ihn beständig von seinem Fluchen abgemahnet & gesagt, dass Ihn der Teuffel noch dereinst holen würde, wenn er nicht von dem Laster des Fluchens abstehen würde; zu Lauff nun ein grosses Wasser kam, dass man das Vieh aus den Ställen retierieren (!) musste, der schwarze Bock, so beim Vieh gewesen, entlauffen & und zu ihm in das heimliche Gemach kam; Ihn sehr erschrecket, dass er von diesenwegen erbärmlich schrye (,) in den Gedanken stehend: dass ihn der Teufel auf den Bock holen wolle. – Si fabula vera?“ (StadtAN E 56/VI Nr. 555 – Ergänzungen in Klammern vom Bearbeiter).

Auf diesen Durchschlag wurde noch ergänzend die folgende Notiz getippt:

„Von diesem Carl Albrecht Ebner, im Sekretarium sitzend, von einem Ziegenbock angegriffen (,) existiert eine Radierung um 1660 und eine Variante des vorigen Blattes, Radierung um 1750.“

Zweifellos handelt es sich bei den beiden erwähnten Radierungen um die beiden bei Panzer aufgeführten Darstellungen, von denen das Stadtarchiv Nürnberg auch Exemplare besitzt.

 

Man sieht sofort die Ähnlichkeit der beiden Darstellungen, bzw. das Vorbild in Abbildung 1. Diese zeigt Ebner mit etwas längeren, offenen Haaren, einem Halstuch, das noch in der Art der ‚Cravatte‘ des 17. Jahrhunderts gebunden ist, sowie mit Pluderhosen, die seine Oberschenkel als solche gar nicht erkennen lassen. Auf der Abbildung 2 hingegen trägt Ebner etwas kürzere Haare, ein moderneres Halstuch und ebenfalls eine der Mode des 18. Jahrhunderts entsprechende Kniebundhose. Dafür, das muss man einfach zugeben, konnte der Fertiger der jüngeren Darstellung den schwarzen Bock viel natürlicher und lebendiger wiedergeben als sein Vorgänger. Immerhin ist nun endlich der Hintergrund der beiden merkwürdigen Bildchen klargeworden. Jedoch: Hat die Geschichte tatsächlich stattgefunden? Auch unsere Textvorlage schließt ja mit den Worten: „Si fabula vera?“ – Was, wenn die Anekdote überhaupt wahr wäre?

Ein Problem ergibt sich schon bei den Angaben zu den Personen. Unser Ebner hatte zwar eine Schwester namens Maria Sophia, welche auch wirklich mit einem Tucher verheiratet war, nämlich mit Johann Jobst Tucher, aber dieser hat nie ein Pflegamt der Reichsstadt verwaltet (siehe: Johann Gottfried Biedermann: Geschichte des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg, Bayreuth 1748, Tafel DI. - Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg - Der Scan ist leider nicht sehr gut). Pfleger in Lauf hingegen war zwischen 1674 und Jahresende 1683 Johann Sebastian Tucher (s. StadtAN B 11 Nr. 125, S. 456), der seit 1664 in zweiter Ehe mit Helena Barbara Ebner verheiratet war (Biedermann, wie vor, Tafel DXIX. - Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg - auch hier ist der Scan mangelhaft). Es dürfte sich daher um eine Verwechslung der beiden Tucher handeln, die umso leichter geschehen konnte, als beide mit einer Frau aus der Familie Ebner verehelicht waren. Das schließt keineswegs aus, dass unser Ebner immer wieder Vorhaltungen von seiner Schwester erhalten hat; es schließt aber auch nicht aus, dass er seine Verwandten in Lauf besucht haben könnte.

Der Nürnberger Künstler Johann Alexander Boener hat kurz nach 1700 das Wenzelschloss in Lauf dargestellt, welches in reichsstädtischer Zeit Sitz des dortigen Pflegamts, und damit auch Wohnung des Pflegers und seiner Familie war.

Johann Alexander Boener: „Das Schlos in Lauff bej Nürnb.“, Radierung 23,1 x 13,5 cm (Blatt) Stadtarchiv Nürnberg E 13/II Nr. G 214.

Johann Alexander Boener: „Das Schlos in Lauff bej Nürnb.“, Radierung 23,1 x 13,5 cm (Blatt) Stadtarchiv Nürnberg E 13/II Nr. G 214.

Der Blick ist sicher von der Brücke aus genommen, im Hintergrund links sieht man den Turm der Spitalkirche, nach rechts erstreckt sich vor den Gebäuden des Schlosses der Zwinger mit einem Rundturm und nachfolgender Wehrmauer, die sich bis zum Haupttor fortsetzt. Diese Wehrmauer stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert und wurde um 1830 wieder eingelegt (siehe: Robert Giersch / Andreas Schlunk / Bertold von Haller: Burgen und Herrensitze in der Nürnberger Landschaft, 2007 – www.herrensitze.com/lauf.html ). Bemerkenswert ist der Aborterker mitten in dieser Zwingermauer, denn sollte die hier vorgestellte Geschichte wirklich passiert sein, dann hätten wir nun sogar den Ort des Geschehens entdeckt, und zwar „das heimliche Gemach“, auf dem Ebner vom schwarzen Bock überrascht worden war. Dieser Aborterker war ebenerdig vom Zwinger aus zu betreten; von demselben Zwinger aus, in den man die Tiere vor dem Hochwasser in Sicherheit gebracht hatte.

Dass der Dargestellte, Herr C. A. E., sich tatsächlich an einem solchen Ort befindet, zeigt einmal die Nische, in der das Brett eingelassen ist, auf dem Ebner sitzt, zum anderen die in beiden Fällen einigermaßen züchtig angedeutete Wölbung seiner Kehrseite, nur sichtbar zwischen dem nach vorne gestreiften Hosenbund und der nach oben gerafften Jacke. Es bleibt noch, auf die beiden links an der Wand sichtbaren Gegenstände hinzuweisen: Da ist einmal ein Behälter ungefähr in Griffhöhe an der Wand angebracht, in dem sich Papierblätter befinden – diese sind auf der jüngeren Abbildung deutlicher zu erkennen. Daneben ist ein Stock an die Wand gelehnt, der am oberen Ende nicht etwa einen Griff aufweist, sondern vielmehr mit einem Stück Stoff umspannt zu sein scheint, das mit einem Ring fixiert, oder mit einer Schnur zusammengebunden ist. Auch dies ist auf der zweiten Abbildung klarer zu sehen. Handelt es sich bei diesem Stock etwa um ein Hilfsgerät, um das Papier und was damit zusammenhängt, hinabstoßen zu können – gleichsam einen Vorläufer der heutigen Saugglocke aus Gummi, vulgo: Pömpel? Und war so ein Gerät bei einem so genannten Plumpsklo überhaupt nötig?

Hat die Episode tatsächlich stattgefunden, dann gewiss an dem Ort, den Boener zeigt. So bleibt letztlich noch die Frage, wann das Histörchen sich ereignet haben kann. Die Amtszeit des Pflegers liegt innerhalb der Lebenszeit unseres Helden, so dass der Zeitraum 1674 bis 1683 in jedem Fall akzeptiert werden kann. Das Stadtarchiv Nürnberg besitzt einen Einblattdruck aus dem Jahre 1682, der im Bilde den überschwemmten Hauptmarkt zeigt, und im darunter angebrachten Druck mehrere Hochwasserkatastrophen aus der hiesigen Geschichte aufzählt – beginnend mit dem Jahr 1300.

Mischtechnik & Typendruck auf einem Blatt 28,7 x 37,5 cm. Druck von Andreas Knorz, Verleger: Georg Scheurer. Nürnberg 1682. Stadtarchiv Nürnberg A 7/II Nr. 376.

Mischtechnik & Typendruck auf einem Blatt 28,7 x 37,5 cm. Druck von Andreas Knorz, Verleger: Georg Scheurer. Nürnberg 1682. Stadtarchiv Nürnberg A 7/II Nr. 376.

Für den hier fraglichen Zeitraum nennt das Blatt die Jahre 1680 und 1682, wobei für das letztere Jahr die Schäden als besonders groß bezeichnet werden, gerade auch außerhalb Nürnbergs. Es ist andererseits natürlich klar, dass ein Hochwasser, welches Nürnberg erreichte, vorher Lauf heimgesucht haben musste; das gilt also auch für die beiden hier genannten Jahre, von denen dann eines dasjenige Jahr gewesen sein dürfte, in dem Carl Albrecht Ebner die geschilderte Begegnung mit dem schwarzen Bock erlitten hat. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die Geschichte sich so abgespielt hat, wie die Familientradition berichtet. Ebner erhielt daraufhin seinen Spitznamen und ein findiger Künstler produzierte die Radierung, die in Abbildung 1 zu sehen ist und sich wahrscheinlich einigermaßen gut verkaufte. Diese Radierung dürfte der Aktualität wegen nicht viel später als 1680 oder 1682, mithin in den 1680er Jahren entstanden sein, sodass die im Typoskript des Ebnerarchivs behauptete Datierung „um 1660“ zu ersetzen ist. Die zeitgenössische Darstellung zeigt Ebner, geboren 1653, nachvollziehbar in dem Alter, das er um 1680 oder 1682 gehabt hat. Die Verhüllung seines Namens durch Verwendung von Initialen geschah selbstverständlich aus Rücksicht gegenüber Stand und Familie, denen Ebner angehörte. Der Nachstich aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigt schließlich, dass für dieses Thema immer noch ein Publikum gefunden werden konnte.

Vom Leben Carl Albrecht Ebners waren bisher nur Geburtsjahr, Sterbejahr und -ort bekannt. Auch wenn man wissen konnte, dass es Radierungen auf ihn gab, so fehlte doch die Erklärung für deren Anlass bzw. für die Geschichte, die den Abbildungen zu Grunde lag. Ob übrigens der damalige Schock Ebner von seinem Hang zum Fluchen geheilt hat, wird nicht erzählt.

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