Martha oder Als die Bilder sprechen lernten - Kinos in Neumarkt 1912 bis 1945

Da staunten die Besucher des Neumarkter Drei-Mohren-Kinos nicht schlecht, als zehn Opernsängerinnen und Opernsänger dem gezeigten Film ihre Stimme verliehen. Es handelte sich um die Lichtspieloper „Martha oder Der Markt von Richmond“. Taufrisch war der Film zwar nicht mehr, war er doch schon am 8. Dezember 1916 in Berlin erstmals öffentlich gezeigt worden, doch die Vorführung der Süddeutschen-Lichtspiel-Opern-Gesellschaft am Freitag, den 17. Mai 1918, war für die Neumarkter eine sensationelle Premiere.

Anzeige für den Film Martha im Neumarkter Tagblatt

Anzeige für den Film Martha im Neumarkter Tagblatt Nr. 114 vom 18. Mai 1918

Anzeige zur Wiederholung des Films

Anzeige zur Wiederholung des Films im Neumarkter Tagblatt Nr. 119 vom 25. Mai 1918

 

 

 

 

 

Der Andrang der Schaulustigen war so groß, dass der Film am Samstag, den 25. Mai zweimal ab 18:00 und 20:30 Uhr wiederholt werden musste. Den Grund für den allgemeinen großen Erfolg des Films sah man „in dem haarscharfen Zusammenwirken von Film und Gesang, sodaß jeder Besucher sich tatsächlich in eine unserer großen deutschen Hofopern versetzt glaubte.“ Die Presse kommentierte das filmische Meisterwerk wohlwollend, wenn auch Kritik an der noch unvollkommenen Synchronisation geübt wurde. „Bei der letzten Wiederholung war das Zusammenwirken von Gesang, Pianofortespiel und Lichtspiel von ein paar Schwankungen abgesehen, gut exakt.“ Wer versteht, zwischen den Zeilen zu lesen, wird dies auch so lesen: Die Vorführungen vor der letzten Wiederholung hatten wohl noch mehr Asynchrones als nur „ein paar Schwankungen“. Ein deutlich sichtbarer, am unteren Bildrand einkopierter Streifen mit Noten sollte es Dirigenten und Sängern ermöglichen, die Musik zum Film in etwa synchron zu begleiten. Das Verfahren dazu hatte Jakob Beck erfunden und sich patentieren lassen.

Am 9. Oktober 1918 steigerte das Drei-Mohren-Kino noch einmal den Einsatz; diesmal reisten zwölf Opernsängerinnen und Opernsänger der Münchener Gesellschaft an und bewiesen ihre Talente bei zwei Vorführungen der Lortzing-Oper "Der Waffenschmied". Man wies im Tagblatt bereits im Vorfeld darauf hin, dass "infolge der enormen Unkosten" eine Wiederholung diesmal nicht möglich sein werde.

Anzeige zur Eröffnung des Kinematographen zu den 3 Mohren im Neumarkter Tagblatt Nr. 198 vom 1. September 1912

Anzeige zur Eröffnung des Kinematographen zu den 3 Mohren im Neumarkter Tagblatt Nr. 198 vom 1. September 1912

Kino - bewegte Bilder, das war in Neumarkt damals noch recht neu. Genau ein Jahre und elf Monate vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs war der Neumarkter „Kinematograph zu den 3 Mohren“ eröffnet worden, Neumarkts erstes Lichtspieltheater. Seit dem 1. September 1912 konnten im Hinterhaus des Geschäftshauses des Neumarkter Tagblatts an der Oberen Marktstraße 8 Filme vorgeführt werden. Eine große Anzeige warb für das erste bunte Programm mit zumeist kürzeren nur minutenlangen Beiträgen, aber auch bereits Filmen in Spielfilmlänge. Trotz intensiver Suche war bis jetzt kein Bericht über die Einrichtung oder Ausstattung in der damaligen Presse auffindbar, der Vorführraum soll aber Platz für 180 bis 200 Besucher geboten haben. Der Kaufmann Martin Hagler hatte sich hier gemeinsam mit dem Besitzer des Gebäudes, dem Buchdruckereibesitzer und Herausgeber des Neumarkter Tagblatts Josef Matthäus Boegl seinen Traum erfüllt. Er war schneller gewesen als die potentielle Konkurrenz. So ging der Mitbewerber Jakob Sußner, der rührige Patriot, den wir bereits in dem Beitrag über die Nagelung des Neumarkter Kriegswahrzeichens vorstellen durften, mit seiner Bewerbung um eine Lizenz für ein Lichtspieltheater in den Tuchersälen an der Grünbaumwirtsgasse leer aus. Der Magistrat ließ ihm nach eingehender Beratung auf sein Gesuch von Ende August 1912 mitteilen, „(…), nachdem aber der Magistrat die Genehmigung zur Aufstellung eines solchen Theaters bereits erteilt hat und für ein zweites Unternehmen dahier ein Bedürfnis nicht besteht, so konnte dem Gesuche nicht entsprochen werden.“

Neumarkt i.d.OPf., Obere Marktstraße 8: im rechten Gebäude befand sich der Firmensitz des Neumarkter Tagblatts, im Rückgebäude von 1912 bis 1945 das so genannte "Drei-Mohren-Kino". Stadtarchiv Neumarkt 1/333

Neumarkt i.d.OPf., Obere Marktstraße 8: im rechten Gebäude befand sich der Firmensitz des Neumarkter Tagblatts, im Rückgebäude von 1912 bis 1926 das so genannte "Drei-Mohren-Kino". Stadtarchiv Neumarkt 1/333

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914 veränderte nicht nur die Weltgeschichte, die Ereignisse und ihre Folgen hatten auch unmittelbar Einfluss auf das Kinoprogramm. Etwas zeitversetzt konnten die Neumarkter am 25. und 26. Juli 1914 Aufnahmen von der Ankunft der Särge des Thronfolgerpaares im Hafen von Triest am 2. Juli und der Überführung zum dortigen Hafen zum Bahnhof sehen. Als moderner Nachfolger der Bänkel- und Moritatensänger ermöglichte das neue Medium Film eine viel unmittelbarere Teilhabe an den Ereignissen in der Welt. Noch ahnten wohl die wenigsten Menschen die Auswirkungen des Anschlags. Uns Nachgeborenen mutet es seltsam an, dass am 28. Juli der Film „Krieg dem Kriege“ gezeigt wurde, ein Antikriegsfilm wenige Tage vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs, laut Werbeanzeige im Tagblatt „der schönste, jemals gezeigte colorierte Film“.

 

Mit dem Lustspiel „Engelein“ als Hauptfilm am 1. August 1914 – in der Hauptrolle die beliebte Schauspielerin Asta Nielsen – endeten vorerst die Vorführungen im Drei-Mohren-Kino. Der Beginn des Ersten Weltkriegs sorgte für eine längere Unterbrechung. In der Werbung setzte man damals schon auf Superlative und Effekte: „Bei "Engelein" wird es ein Lachen ohne Ende geben, und ist dies der tollste Lustspielschlager aller bereits gezeigten Lustspiele.

 

Nach fast zweimonatiger Spielpause meldete sich der Betreiber des Drei-Mohren-Kinos wieder beim Publikum und versprach am 27. September: „Die Leitung desselben wird bemüht sein, durch ein dem gewaltigen Ernst der Zeit durchaus angepaßtes Programm sich die Gunst und das Vertrauen des Publikums zu erhalten.“ Am 4. Oktober stellte man ausführlicher dar, was man inhaltlich zu erwarten hatte: „(…) all die Flieger und die Kruppschen Geschütze, Zeppelins bombenschleudernde Beherrscher der Lüfte, die Kämpfe zur See, niederkrachende Festungsmauern, im Dickicht lauernde Schandtaten, Kosaken - Tod in den masurischen Seen gurgelnden Gewässern, Klagen und Leid der Verwundeten, Gräber ohne Zahl“. Interessant erscheint die Zuordnung der „ernsten und heiteren Kunst“; letztere bot man den Zuschauern an, die noch keine unmittelbare Berührung mit den Kriegsereignissen gehabt hatten, erstere all denen, die bereits Verletzte, Gefangene oder Gefallene unter ihren Angehörigen hatten, so als ob diese keine Ablenkung oder Zerstreuung, sondern passend zu ihrer Trauer ernste Filminhalte gebraucht hätten.

Freunde der Kinogeschichte, die wissen möchten, welche Filme von Anfang Juli 1914 bis Ende November 1918 im Neumarkter Drei-Mohren-Kino gezeigt wurden, finden im Internet eine Filmübersicht. Als Excel-Tabelle stehen die Informationen auch zum Download zur Verfügung.

Das 3-Mohren-Kino wurde 1921 von Frau Maria Pfannkuchen übernommen, die es fünf Jahre später in das Anwesen Obere Marktstraße 40 verlegte und in Schauburglichtspiele umbenannte. Mit dem Film "Quo Vadis" begann hier ein neuer Abschnitt der Kinogeschichte, der im April 1945 mit der Kriegszerstörung des Gebäudes enden sollte.

Die Versuche von Michael und Christine Volland, in dem Anwesen Untere Marktstraße 21, dem Gasthof "Zum Schwan", die Kammerlichtspiele einzurichten, scheiterten an der Nichterfüllung baupolizeilicher Vorschriften. Offiziell konnte das Kino nie eröffnen, der Vorgang zog sich von 1921 bis 1926 hin. Es war auch nicht hilfreich, dass die kinoerfahrenen Martin Hagler und Maria Pfannkuchen ab 1922 den Betrieb übernahmen. Es wurden nur wenige Filme ohne Genehmigung gezeigt.

Als letztes neues Kino vor 1945 kam 1926 das Lichtspielhaus Neumarkt, später Tucherlichtspiele genannt, hinzu. Es eröffnete am 23. Juli, wenige Tage nach den Schauburglichtspielen mit dem Film "Ein Walzertraum". Dieses im Anwesen Grünbaumwirtsgasse 13 beheimatete Kino des Pachtwirts Johann Dörr in der Gastwirtschaft "Zum Grünen Baum" mit den so genannten "Tucher-Sälen", seit 1906 im Besitz der Freiherr von Tucherschen Brauerei in Nürnberg, fand ebenfalls sein Ende in der Zerstörung der Stadt im April 1945. Alhambra, Bavaria-Kino und Rialto-Palast sind dann schon Namen eines neuen Abschnitts der Neumarkter Kinogeschichte.

 

Quellen:

Neumarkter Tagblatt Nr. 195 vom 29. August 1912, Nr. 224 vom 27. September 1914, Nr. 233 vom 9. Oktober 1918; Sebastian Koch, Die Geschichte und die Entwicklung des Kinos in Neumarkt seit Beginn des 20. Jahrhunderts, Facharbeit aus dem Fach Geschichte am Willibald-Gluck-Gymnasium, Neumarkt 2001, S. 6 - 20; Frank Präger, Wohnpark Johannesviertel. Ein geschichtlicher Abriss, in: Wohnpark Johannesviertel (Baubroschüre), Neumarkt 2006, S. 8 f.

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